Biografie

Christian Muscheid hat Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München und an der Facultat de Belles Artes in Barcelona studiert und 2009 sein Diplom als Meisterschüler von Professor Jerry Zenjuk erhalten. Der Künstler ist Mitglied des Kollektivs Neue Münchner Malerei, das es sich zum Ziel gesetzt hat, neue ästhetische Ausdrucksweisen für das Betätigungsfeld der Malerei zu etablieren. Neben dem Atelierstipendium der Landeshauptstadt München (2010) und dem Atelierstipendium des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (2013) wurden seine Arbeiten 2010 mit dem Renate Küchler Preis ausgezeichnet. Als Gründungsmitglied der Künstlergruppe "super+" arbeitet Christian Muscheid projektbezogen; zuletzt wurde 2015 der "Flug des Phönix" zum PIN. Fest in der Pinakothek der Moderne, München und 2016 zur Nuit Blanche, Paris, inszeniert.

Christian Muscheid ist 1982 in Saarbrücken geboren, lebt und arbeitet in München. Seit 2004 absolvierte er ein Studium der Malerei bei Prof. Jerry Zeniuk (Akademie der bildenden Künste, München). 2008 studierte er im Rahmen eines Auslandssemester in Barcelona an der Facultat de Belles Arts. 2009 wurde er Meisterschüler und erlangte im Januar 2010 sein Diplom. 

 

Auszeichnungen

2017 Architekturpreis "geplant und ausgeführt" IHM,1. Platz,  "Otto Bar", super+uns

2016 Förderpreis Kulturstiftung Derriks (Ausstellungskatalog)

2013 Atelierstipendium des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur

2010 Atelierstipendium der Landeshauptstadt München

2010 Renate Küchler Preis

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Text zur Arbeit: Christian Muscheid. Wechselwirkung der Farben und Formen

Verfasserin: Dr. Simone Schimpf, Direktorin Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt

„In visual perception a color is almost never seen as it really is – as it physically is. This fact makes color the most relative medium in art.”(1) 

Ein Klassiker der Kunsttheorie und zugleich eines der wichtigsten Lehrbücher für Künstler im 20. Jahrhundert ist das 1963 erschienene Buch „Interaction of Color“ von Josef Albers. Aus einer langen Erfahrung als Lehrer und Maler heraus kompilierte Albers zu Beginn der 1960er Jahre sein Wissen über die Farben. Seit 1950 malte er konsequent an seiner Bildserie „Homage to the Square“, in der er die Wechselwirkung der Farben in einer Komposition aus geschachtelten Quadraten untersuchte. Die immer gleiche Komposition füllte er mit unterschiedlichen Farben auf und studierte daran, wie sich der einzelne Farbwert in Relation zu den Nachbarn veränderte. Kein Ton blieb durch den angrenzenden unbeeinflusst. In seinem schriftlichen Resümee führte er all diese Erkenntnisse weiter aus und illustrierte sie durch zahlreiche Tafeln, die das eindrücklich belegen.

Nimmt man das Buch heute zu Hand, erscheint es einem plausibel und völlig überzeugend, welche optischen Effekte hier zum Tragen kommen. Doch fast sechzig Jahre nach dem Aufkommen der Op-Art, nach den vielen künstlerischen Experimenten in diese Richtung, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass diese Augentäuschungen bekannt und populär wurden, ist der Leser fast ein wenig überrascht, dass sich Albers weitestgehend auf die Farbanalyse beschränkte. Er schrieb selbst, dass er mit seinem Buch, die Wahrnehmung von Farben schulen wolle. Es ging ihm dabei nicht um emotionale oder gar psychologische Deutungen von Farbkontrasten. Kann dieses Werk auch heute noch einen Künstler anregen? Ist das Thema der „Interaction of Color“ nicht ausgereizt?

Ob es der großen Albers-Nachwirkung vorrangig zu verdanken ist, bleibt fraglich, aber das vermeintlich altbekannte Phänomen der Farbwechselwirkung beschäftigt den Künstler Christian Muscheid nachhaltig. Er verfolgt diesen Aspekt in seiner Malerei konsequent, seitdem er die Münchner Akademie der Bildenden Künste verlassen hat. Dafür hat er einerseits einen ganz eigenständigen Weg eingeschlagen und andererseits bewusst durch die Titelwahl eine Fährte zu Josef Albers gelegt. Seine fortlaufende Serie „Interaction of Color“ besteht aus immer gleichgroßen, hochrechteckigen (keine quadratischen wie bei Albers!) Leinwänden, auf die er unterschiedlich große Rechtecke, Quadrate, manches Mal auch Dreiecke setzt. Anders als Albers wiederholt er nie die gleiche Komposition, sondern variiert stetig in der Größe und Anordnung mit seinem begrenzten geometrischen Formenvokabular. Hinzu kommen die jeweiligen Farbkombinationen. Es sind meist nicht mehr als zwei Farben, die Muscheid einsetzt. Grundfarben treffen auf Pastelltöne ebenso wie auch Neonfarben. Sie alle heben sich deutlich von der transparent lasierten Leinwand ab. Auch das ist ein oft wiederkehrendes Merkmal in der Malerei von Muscheid. Das dunkle Leinen mit seiner gewebten Haptik gibt allen Formen einen Rahmen. Nie geht eine Form in dieser strengen Serie bis an den Rand. Sie sind immer frei gestellt und bekommen dadurch eine Raumtiefe.

Die besondere Kraft dieser Serie entsteht zudem durch ihre Hängung: Muscheid hängt die kleinformatigen Tafeln in langen Reihen übereinander und bildet daraus ein Quadrat. Der Effekt ist verblüffend. Es entsteht ein großes Zeichenalphabet. Jedes einzelne Werk wird zu einem „Buchstaben“ innerhalb einer Sprachgruppe. Die Farben balancieren sich wechselseitig aus. Das Einzelwerk ist laut und durch seine Farben und Formen eine kräftige Setzung. In der Gesamtkomposition wird die Tafel jedoch aufgefangen und Teil des Ganzen, ohne die anderen zu dominieren. Der Künstler experimentiert lange, bis er sich für die letztgültige Hängung entschieden hat, die er dem gesamten Tafelensemble zugrunde legt. Es ist für ihn eine Gesamtkomposition, eine Notation von Farben und Formen (2). Oben links beginnt er mit einem schwarzen Hochrechteck, das die linke Bildhälfte ausfüllt; unten rechts endet er mit der doppelten Form, also einem ausfüllenden schwarzen Hochrechteck, wobei bei beiden Tafeln ein Rand mit dem lasierten Leinengrund stehen bleibt und so wie ein Rahmen fungiert. Legt man also die traditionelle, westliche Leserichtung von links oben nach rechts unten zugrunde, erfährt die anfängliche (halbierte) Form über eine große Spanne hinweg mit zahlreichen Farb- und Formvariationen eine Vollendung zum Bildraum ausfüllenden Rechteck. Muscheid hat durch diese Entscheidung seiner Gesamtkomposition eine Art Erzählstrang gegeben. Plötzlich ergeben sich Achsen und Verbindungen der Tafeln untereinander.

In einer konsequenten Weiterentwicklung dieser Serie malte Muscheid erneut eine Vielzahl an hochrechteckigen Tafeln, bei denen er sich jedoch auf die Farbe Blau
beschränkte. Jedes Bild zeigt eine andere Form, aber in monochromem Blau. Wieder entsteht ein visuelles Zeichensystem, das jedoch dieses Mal durch die Formen und nicht durch die Wechselwirkung der Farben bestimmt ist. In ihrer Reduktion verstärkt sich ihr Zeichencharakter. Assoziationen wie an das signifikante Logo der Deutschen Bank (1974) von Anton Stankowski kommen auf, was natürlich auch an der Verwendung der Farbe Blau liegt. Das einzelne Bild ebenso wie die Gesamtkomposition wirken extrem signalhaft und werfen dadurch Parallelen zu klassischen Logos auf. 

Christian Muscheid spricht von Archetypen, denen er in seiner Malerei auf den Grund geht. In seinen großformatigen Acrylbildern lässt sich das deutlich nachvollziehen. Hier geht er souverän mit drei Arten der ungegenstandlosen Malerei um: Er malt große monochrome Tafelbilder wie ein signalrotes Quadrat; er
setzt einfache geometrische Formen wie einen gelben Kreis auf die ungrundierte Leinwand und er malt sphärisch verzogene Formen, die sich nicht mehr als klar definierte, geometrische Körper beschreiben lassen (z. B. Abbildung „Wien“). Alle drei Prinzipien haben lange kunsthistorische Vorgeschichten, denen sich Muscheid bewusst ist, mit denen er aber ähnlich wie mit dem Albers-Erbe selbstbewusst und selbstbestimmt umgeht. Er unterwirft sich keinem festen Regelwerk, das es durchzudeklinieren gilt, wie man es öfters in der regelfixierten Konkreten Kunst finden kann. Muscheid sucht tatsächlich nach archetypischen Formen und ihren Farben, wie sie schon immer die Welt bestimmt haben und die immer als Kommunikationszeichen eingesetzt wurden. Bereits die Hieroglyphen beruhten auf signifikanten, einprägsamen Zeichen. Heute begegnen sie uns vor allem als Icons und Logos im kommerziellen Bereich, aber auch noch klassisch als Verkehrszeichen.

Geradezu konsequent ergibt sich daraus, dass Muscheid keine Berührungsängste hat, seine Werke ins Design zu übersetzen. Für Escada entwarf er eine Modelinie, in der er auf Leinenstoffe eine knallige geometrische Form setzte, die dann das Kleid zum Hingucker werden ließ. Die klaren Schnitte korrespondieren mit den klaren Formen. Wie auf seinen Gemälden erprobt der Künstler auch dabei die Wirkung von Farbe und Form aufeinemneutralen Hintergrund. Das Neue ist jedoch, dass die Komposition keine flache Leinwand bleibt, sondern sich am Frauenkörper durch den Raum bewegt. Die Unterscheidung zwischen Kunst und Design interessiert ihn letztlich nicht. Es geht ihm allein um die Wirkung und das Resultat seiner Archetypen.

Tatsächlich ist der Bezug zum Raum keine zu unterschätzende Größe in seinem Werk. Das stellt man an einer Gemeinschaftsarbeit fest, die Muscheid mit dem Künstlerkollektiv super+ seit 2015 in verschieden Kontexten realisierte: Der Flug der Phoenix. Zuletzt führte die Gruppe diese einmalige Aktion vor dem Pariser Eifelturm im Oktober 2016 auf. Aufwändig wie nie ergänzten sie den Flug einer silbernen Folie mit Musik und Licht. Die riesige, hauchdünne Spezialfolie, entwickelt für die Raumfahrt, wird mit Helium aufgeblasen und führt – allein gesteuert durch den Wind – ihren eigenen Formentanz auf. Es entstehen zauberhafte, unvorhersehbare Figuren und Körper, die durch Licht und Schatten und jüngst auch noch durch Farbprojektionen in idealerweise den Traum von Muscheid - Farben und Formen im Raum - umsetzen. So wie der Künstler keine Berührungsängste zum angewandten Bereich hat, so hat er keine Hemmungen, schöne Kunst zu machen. Die „Beaux Arts“ - die Schönen Künste - sind im 20. Jahrhundert sehr in den Verruf geraten, oberflächlich und banal zu sein. Der Wert der Schönheit an sich, der Wert der reinen Farbe und Form hat sich nur indirekt über ein Werk wie die „Interaction of Color“ von Albers erhalten. Letztlich geht es Albers darin um die unerklärliche Kraft von Farben, die sich in unserem Auge so ganz anders entfalten als die physikalische Messung dies erklärt. Ganz zu schweigen, was Farben psychologisch, emotional und kulturell im Menschen auszulösen vermögen. Albers eröffnet also im Gewand eines Lehrbuchs die große Vielfalt und Macht der Farben. Doch bleibt er im Ton sachlich und nüchtern. Er geht nicht soweit, eine Hommage an die Schönheit zu formulieren. Für Muscheid ist das Jahrzehnte später kein Problem mehr. Diese Generation von Künstlern geht wieder unbefangen an die Frage der Formen und Farben und scheut sich nicht, große Empfindungen wie Schönheit auszulösen und sich dazu zu bekennen.

Dr. Simone Schimpf 

 

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1) Josef Albers, Interaction of Color (Yale 1963), New Haven-London (50th Anniversary Edition) 2013, S. 1.
2) Der Begriff der Notation kommt sowohl in der Musik, wie im Film oder in den Bildenden Künsten vor. Die Notation als Notiz und Denkprozess verweist auf Formen der Erkenntnis- gewinnung durch bildliche Aneignung und Darstellung. Vgl. den Ausst.-Kat. Notation. Kalkül und Form in den Künsten, hrsg. von Hubertus von Amelunxen, Dieter Appelt und Peter Weibel, Akademie der Künste, Berlin und ZKM, Karlsruhe, Berlin 2008.